
Bei Angstgefühlen reagieren die meisten Menschen so, dass sie versuchen, gegen die Angst anzugehen und sie zu bekämpfen. Das ist aus psychologischer Sicht nicht sinnvoll, da dies die Angst verstärkt. Warum das so ist und was man stattdessen tun sollte, erkläre ich in diesem Artikel:
Angstgefühle sind alte, unbewusste Überlebensstrategien
Bei Angst oder Panik handelt es sich meist um Überlebensstrategien aus der Kindheit. Hierzu ein Beispiel:
- Wenn jemand als Kind gelernt hat, dass "immer gut sein, immer perfekt sein, immer brav sein" den Eltern gefällt, dann speichert dieses Kind unbewusst eine Gleichung ab: Liebe = "perfekt sein". Und diese Gleichung setzt sich dann unbewusst in diesem Kind als Überlebensstrategie fest.
- Als Erwachsener wird dieses Kind dann immer noch auf dieser Gleichung funktionieren, ohne es bewusst zu merken. Das zeigt sich dann in Perfektionismus, übertriebenem Leistungsanspruch oder eben dem Wunsch, perfekt Englisch zu sprechen, sogar dann, wenn es gar nicht auf perfektes Englisch ankommt.
Diese Gleichung, die in der Kindheit eine Überlebensstrategie war, wird im Erwachsenenalter zu einer Hürde: Denn der Erwachsene denkt unbewusst immer noch, dass er in Schwierigkeiten geraten wird, wenn er nicht perfekte Leistung erbringt, z.B. wenn das Englisch nicht perfekt ist - denn dann glaubt das Kind in ihm, dass er Liebe (Anerkennung) verlieren wird. Und somit wird das alte Überlebensmuster ("Du musst perfekt sein") aktiviert, ohne dass der Erwachsene sich dessen wirklich bewusst ist.
Was passiert, wenn der Erwachsene gegen die Überlebensstrategie handelt?
Wenn der Erwachsene nun in ein englisches Meeting geht und dort Englisch redet - und beim Reden spürt: "Das ist nicht perfekt" - dann springt der alte Überlebensmechanismus an: "Du bist nicht perfekt, du bist in Gefahr! Du wirst die Liebe (die Anerkennung) verlieren!" - und dann setzt die Angst und Panik ein.
Die Angst will den Erwachsenen schützen, ihn vor dem Verlust von Liebe bewahren. Als Kind war dies ganz wichtig zum Überleben, denn kein Kind kann ohne Liebe überleben und es wird alles dafür tun, diese Liebe irgendwie zu bekommen. Und in den meisten Fällen wird das Kind einen Teil von sich selbst opfern, um diese Liebe zu bekommen. Das kann zum Beispiel der Teil sein, der sich Fehler erlaubt - der Teil, der glaubt, auch mit Fehlern geliebt zu werden. Das Opfern dieses Teils führt zu der Gleichung Liebe = perfekt sein, und das Kind wird von da an alles tun, um diese Liebe zu bekommen.
Warum die Angst nicht bekämpft werden darf:
Wenn dieser Erwachsene nun im englischen Meeting merkt, dass er Angst bekommt und anfängt, dagegen anzukämpfen, wird die Sache nur noch schlimmer. Beispiele dafür, wie Menschen versuchen, eine Angst zu bekämpfen, sind:
- Schneller sprechen
- Sich genau an eine Vorlage halten ("ablesen")
- Augenkontakt vermeiden
- Selbstkritik ("Ich bin zu dumm, ich kann kein Englisch")
- Vermeidungsverhalten
Die Angst wird durch das Bekämpfen schlimmer, weil es sich um eine Überlebensstrategie handelt: Sie müssen sich diese Überlebensstrategie wie einen treuen Hund vorstellen, dessen Aufgabe es ist, Sie zu beschützen. Und wenn Sie das Bellen des Hundes ignorieren, wird der Hund nur noch lauter bellen, denn er denkt, Sie seien in Gefahr. Es ist also keine Lösung, die Angst zu bekämpfen, sie wird nur noch lauter dadurch.
Was sollte man stattdessen tun?
Zunächst einmal muss man sich klarmachen, dass es sich hier um eine Überlebensstrategie aus der Vergangenheit handelt und dass die jetzige Situation - z.B. das englische Meeting - mit der Vergangenheit nichts zu tun hat. Man muss sich als Erwachsener keine Liebe oder Anerkennung mehr erarbeiten. Anerkennung kommt manchmal und manchmal kommt sie nicht, man darf sich davon nicht abhängig machen. Der wichtigste erste Schritt ist somit, sich von den "kindlichen Bedürfnissen" zu befreien. Beispiele hierfür sind:
- Der Wunsch, dazuzugehören
- Wunsch, für gute Leistung anerkannt zu werden
- Wunsch, gemocht zu werden
- Wunsch, bewundert zu werden
Dies sind alles alte "Kinderwünsche", die einen im Erwachsenenalter nur in Schwierigkeiten bringen. Man sollte als Erwachsener souverän mit Schwächen umgehen können, auch wenn "alle anderen fließend Englisch sprechen". Wenn dies für Sie schwierig ist, dann kann eine Verhaltenstherapie helfen, den Schwierigkeiten auf den Grund zu gehen und diese aufzulösen. Schwierigkeiten, sich unperfekt zu zeigen, haben oft ihre Wurzel in der Ursprungsfamilie, wo man für unperfektes Verhalten mit dem Entzug von Aufmerksamkeit bestraft wurde.
Blog:
Ich schreibe regelmäßig über das Thema Englischangst/Englischphobie, hier finden Sie viele informative Artikel und Tipps: Blog "Angst vor dem Englisch reden"
Podcast:
Erfahren Sie mehr über das Thema Englisch Sprechangst und wie man diese überwinden kann: Podcast "Englisch frei sprechen" von Natalie Marby
Therapie bei Fremdsprachenangst:
Ich bin Natalie Marby und ich arbeite (auch online) therapeutisch mit Menschen, die starke Angst vor dem Englisch reden haben und diese Angst dauerhaft überwinden wollen. Wenn Sie dieses Thema interessiert, erfahren Sie hier mehr: Therapie bei Fremdsprachenphobie
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